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Superstar Billy Graham: "I'm the man of the hour, the man with power, too sweet to be sour."

Biografie

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25.01.2007, 00:00 
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Superstar. Es gibt kaum ein Wort, die in den vergangenen Jahren rapider an Wert verloren hat. Im Musikgeschäft erhalten diesen Titel zusammengecastete Profilverweigerer mit Halbjahreskarriere. In der WWE ist es zur Allerweltsbezeichnung geworden, um das böse Wort „Wrestler“ zu vermeiden, unter die inzwischen selbst Torrie Wilsons Hündin fällt. Dabei sollte jeder im Business wissen, dass es im Wrestling nur einen wahren Superstar gab: Superstar Billy Graham.

Billy Graham war „Sports Entertainment“, bevor es das Wort überhaupt gab. Er setzte in den Siebziger Jahren Standards, an denen sich unzählige Nachahmer bis heute messen lassen. Zwanzig mal war er Headliner im ehrwürdigen Madison Square Garden, neunzehn Mal verkaufte er ihn aus – und war beim zwanzigsten Mal zumindest nah dran. Bis heute ist er der am längsten regierende Heel-Champion der WWE-Geschichte. Er war die schillerndste Figur den die (W)WWF vor der Hulkamania-Ära hatte - und hätte man sein Potenzial besser ausgeschöpft hätte es vielleicht überhaupt gar keine Hulkamania gegeben. Gleichzeitig war Graham aber auch der erste, der seinen Aufstieg auch damit begründete, dass er seinen Körper mit Steroiden aufpumpte – und er zahlte einen hohen Preis dafür.

Erste Schritte in Stu Harts Dungeon

An der High School war Graham, der am 10. September 1943 in der Wüste von Arizona das Lichte der Welt erblickte, ein herausragender Leichtathlet. Seine Spezialdisziplinen waren Kugelstoßen und Diskuswurf. Er strebte die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko an, er verpasste die Qualifikation jedoch aufgrund schulischer Probleme. Nach seinem Schulabschluss versuchte er sich als Footballer und – mit mehr Erfolg – als Bodybuilder und Powerlifter. Daneben verdingte er sich als Türsteher und Rausschmeißer in der Nachtclubszene von Los Angeles.

Zum Wrestling kam Graham über seinen Football-Kollegen Bob Lueck. Lueck spielte für Calgary in der Canadian Football League und verdiente sich – was damals nicht unüblich war – in der Off-Season Geld als Wrestler hinzu. Lueck war sicher, dass das Wrestling für einen Muskelberg wie Graham erst recht lukrativ sein könnte und machte ihn daher mit Stu Hart bekannt. Graham, der nie Ambitionen hatte, Wrestler zu werden, folgte der Einladung aus einer Laune heraus und wurde in Stus berüchtigtem Dungeon erstmal ordentlich verknotet.

Graham machte unter seinem bürgerlichen Namen Wayne Coleman seine ersten Schritte in Stus Stampede-Promotion. Sein – nahe liegendes – Gimmick war das eines Kraftprotzes. Er forderte Fans und Wrestler zu Armdrückwettbewerben heraus, bei denen sie sich mit einem Sieg 1000 Dollar verdienen konnten. Immer jedoch, wenn jemand nah dran war, griff er zu unfairen Tricks und brachte seinen Gegenüber so um sein Geld.

Ein Prediger als Namenspate

Zurück in L.A. traf Coleman Dr. Jerry Graham, ein alterndes Enfant Terrible der Wrestlingszene. Er hatte den trinkfesten Doctor bereits mehrfach aus Clubs geworfen. Als er ihn wieder sah, erzählte er ihm, dass er jetzt auch Wrestler sei. Darauf bot er ihm direkt an, der berühmten Graham-Gimmick-Familie beizutreten – der außer ihm noch Eddie, Luke und Mike Graham angehörten. Aus Wayne Coleman wurde Billy Graham, ein Name den er sich in Anlehnung an den gleichnamigen Wanderprediger auswählte. Den Zusatz „Superstar“ entlieh er dem damals immens populären Musical „Jesus Christ Superstar“.

Der Name passte, denn auch der wrestlende Billy Graham verstand sich als Mann Gottes. Im Teenageralter wurde Graham zum Hobbyprediger. Er nutzte das Quäntchen Ruhm, dass sich durch seine Erfolge als Bodybuilder schon eingestellt hatte, um junge Leute dazu zu bringen, aus seinem Munde dem Wort Gottes zu lauschen. Da war nur ein Problem: Graham war auf den Weg in eine Geschäft, wo es mit der Gottesfürchtigkeit nicht weit her war – schon gar nicht bei Jerry Graham.

Billy und Jerry Graham waren ein kurzlebiges Gespann: Der von Alkohol- und Gewichtsproblemen geplagte Jerry befand sich auf einem Selbstzerstörungstrip, so dass Billy schon bald allein zurückblieb. Anfang 1971 ging er nach San Francisco und wurde dort von einer anderen Legende unter seine Fittiche genommen: Dem späteren WWF Intercontinental Champion Pat Patterson. Als sein Tag Team Partner und mit Gegnern wie Ray Stevens, Peter Maivia – The Rocks Großvater – und Maivias Sohn Rocky Johnson verfeinerte er sein Handwerk. Er wurde kein Fünf-Sterne-Techniker, aber ein Meister der Ringpsychologie, bei dem jede Aktion eine Bedeutung hatte.

Stevens vermittelte ihn 1972 schließlich an Verne Gagnes AWA. In den drei Jahren in Minnesota perfektionierte Graham sein Auftreten und entwickelte sich zu der glitzernden Gestalt, die später für nationales Aufsehen sorgen sollte. Eine paradoxe Entwicklung, wenn man bedenkt, dass die AWA als Revier von technisch versierten, aber eher farblosen Ex-Ringern galt. Graham hatte seine Schwierigkeiten mit dem Stil, der dort gefahren wurde, nichtsdestotrotz gewann er die Herzen der Fans.

Reime wie Ali

Zu seinen Markenzeichen wurden blond gefärbte Haare, farbenprächtige Tie-Dye-Klamotten, sein sonnengebräunter und immer muskulöserer Körper und seine ebenso gewitzten wie selbstherrlichen Promos. Für letztere ließ sich Graham vor allem von Boxikone Muhammed Ali inspirieren. Wie Ali trug Graham seine Selbstbeweihräucherungen oft in Reimform vor: “I eat T-bone steaks, I lift barbell plates, I'm sweeter than a German chocolate cake.” Oder: “I'm the reflection of perfection, the number one selection.” Und natürlich seine berühmteste Catchphrase: “I'm the man of the hour, the man with power, too sweet to be sour.” Beim Aufbau seiner Muskelmasse war eine Zeit lang auch Bodybuilder-Kollege Arnold Schwarzenegger beteiligt, mit dem Graham 1972 gemeinsam ins Gym ging. Durch obsessives Training und einige Hilfsmittelchen hatten Grahams Oberarme mittlerweile einen Umfang von 60 Zentimetern erreicht.

Im Jahr 1975 kehrte Graham der AWA schließlich den Rücken – angeblich vor allem deshalb, weil er genug vom frostigen Wetter in Minnesota hatte. Der Karriereschritt erwies sich als goldrichtig, denn wo er hinging, sollte er erst richtig groß rauskommen: In der World Wide Wrestling Federation. Die McMahon-Liga war damals noch weit davon entfernt, der Global Player von heute zu sein. Sie war eine Regional-Promotion an der Ostküste – wenn auch eine sehr erfolgreiche.

Graham bekam die Managerlegende Grand Wizard an seine Seite gestellt und wurde schnell als Herausforderer für den ewigen Heavyweight Champion Bruno Sammartino aufgebaut. Der Publikumsliebling Sammartino und der forsche Regelbrecher Graham trafen in den kommenden Jahren diverse Male aufeinander. Die meisten Aufeinandertreffen endeten ohne klaren Ausgang: Es gab Double Count Outs, doppelte Disqualifikation und Matchabbrüche, weil einer der Kontrahenten Blut verlor.

Grahams Matches gegen Sammartino sorgten regelmäßig für ausverkaufte Hallen. Damit qualifizierte sich Graham als Nachfolger des alternden Sammartino, der mittlerweile das vierzigste Lebensjahr überschritten hatte. Die Stabübergabe sollte schließlich am 30. April 1977 im Civic Center von Baltimore stattfinden. Graham überraschte Sammartino mit einem Leg Pick Up und drückte ihn bis drei auf die Matte, indem er unbemerkt vom Ringrichter beide Beine aufs Seil hob. Sammartinos insgesamt zwölfjährige Regentschaft war damit beendet.

McMahon Senior verkennt das Potenzial

Nun war es in der WWWF stets so, dass ein Regelbrecher den Titel stets nur ein paar Tage hielt, um ihn dann direkt an den nächsten Fanliebling weiter zu reichen. So war es bei Ivan Koloff, so war es bei Stan Stasiak – aber nicht bei Billy Graham. In den kommenden Monaten stellte sich Graham Herausforderungen von Ivan Putski, Chief Jay Strongbow, Larry Zbyszko und auch Rückmatches gegen Sammartino – und schaffte es jedes Mal seinen Gürtel zu verteidigen. Dazu war er der erste, der seinen Gürtel in einem Vereinigungskampf gegen den NWA World Champion Harley Race aufs Spiel setzte. Das epische Aufeinandertreffen unter freiem Himmel im Orange Bowl von Miami endete nach einer Stunde in einem Time Limit Draw.

Was noch verblüffender war als die Länge seiner Regentschaft: Eine immer größer werdende Fanschar begann Graham zuzujubeln. Das hatte es so noch nie im Wrestling gegeben. Doch egal ob die Fans ihn liebten oder hassten: Sie füllten die Arenen um den Superstar in Aktion zu erleben. Vince McMahon Sr. hatte also einen Goldesel gefunden – und dennoch entschied er sich 1977 Grahams Titelregentschaft zu beenden. Schon am Tag von Grahams Titelgewinn stand sein Entschluss, Bob Backlund als Grahams Nachfolger aufzubauen.

Der biedere Backlund war so ziemlich der exakte Gegenentwurf zum Superstar, der Urtyp eines konservativen Babyface-Wrestlers: Ein bodenständiger Ex-Ringer mit kurz geschorenen Haaren, großartig im Ring, aber eher farblos außerhalb. McMahon wollte aus Backlund den nächsten Jack Brisco machen und auch Grahams stetig wachsende Popularität brachte diesen Plan nicht ins Wanken. Also gewann Backlund am 20. Februar 1978 im Madison Square Garden den Titel von Graham. Sein Sieg war jedoch kontrovers: Graham hatte während des Pinfalls die Beine auf dem Seil, so dass dieser eigentlich ungültig war. Dies war der Aufhänger für diverse Rückmatches, doch auch hier ging Backlund stets als Sieger hervor.

Die Beendigung von Grahams Regentschaft gilt heute als größte Fehlentscheidung des älteren McMahons. Backlunds mehrjähriger Titelrun blieb hinter den Erwartungen zurück. Speziell gegen Ende verlor Backlund merklich an Zuschauerzuspruch. Die Fans turnten oft gegen ihn und Vince Jr. entsorgte ihn schließlich, als er in Hulk Hogan einen Wiedergänger Grahams fand. Im Nachhinein betonte er mehrfach, dass er Graham nie entthront hätte, wenn er damals schon in Position gewesen wäre. Er hätte ihn zum Publikumsliebling und zum dauerhaften Aushängeschild gemacht, so wie Graham es damals seinem Vater vorschlug.

Neuanfang als Karateka

McMahon Sr. jedoch lehnte Grahams Anregung ab. Es lag wohl einfach noch außerhalb seiner Vorstellungskraft, dass sich die Fans für einen Hallodri wie Graham erwärmen konnten. Für Graham wurde der Titelverlust zum Karriereknick, von dem er sich nicht mehr erholte. Stattdessen bestritt er noch eine blutige Fehde mit Dusty Rhodes und zog sich danach enttäuscht zurück. Er siedelte wieder nach Phoenix um, begann seinen Kummer mit Drogen zu betäuben und ließ jahrelang nichts mehr von sich hören – von vereinzelten Auftritten in Memphis abgesehen. Anfang der Achtziger meldete eine Tageszeitung aus Philadelphia sogar, dass Graham verstorben sei – eine Ente: Dahinter steckte ein Streich von Dusty Rhodes, der sich verselbstständigt hatte.

Dass Graham noch quicklebendig war, bewies er 1982. Er kehrte in die WWF zurück und forderte Backlund erneut um den Titel heraus, da dieser ihn immer noch keinen glasklaren Sieg gegen Graham vorzuweisen hatte. Graham präsentierte sich den Fans in einem neuen Look: Er hatte an Muskelmasse verloren, die blonde Haarpracht war abrasiert und sein Gesicht zierte ein schwarzer Schnauzbart. Anstelle der Tie-Dyes trug er Kampfsporthosen und im Ring verließ er sich nun auf Karate-Aktionen wie illegale Handkantenschläge.

Man muss sich das in etwa so vorstellen, als würde heute Stone Cold Steve Austin mit langen Haaren, ohne Bart und einem Gimmick als Rodeoclown zurückkehren – es war keine gute Idee, auch wenn sie von Graham selbst stammte. Speziell in Philadelphia, wo sich immer noch das Gerücht hielt, dass Graham tot sei, blieben die Fans weg: Nicht wenige erkannten Graham überhaupt nicht wieder und hielten ihn für einen schlechten Nachahmer. Wenige Monate später war der „neue“ Graham schon wieder Geschichte.

Verletzungen verhindern Comebackversuche

Der Superstar war damals auf dem Höhepunkt seiner Drogensucht: Er hatte mehrere Überdosen, wurde mehrmals ins Krankenhaus eingeliefert und hörte auf zu trainieren. Man trennte sich schließlich im gegenseitigen Einvernehmen. Nachdem Graham seine Probleme einigermaßen in den Griff bekommen hatte, feierte er ein Comeback im Florida-Territorium – wo er das erste Mal offiziell als Babyface unterwegs war – gefolgt von einem kurzen Gastspiel in den Crockett-Promotions, wo er wieder sein bewährtes Gimmick annahm.

Im Sommer 1986 nahm er dann wieder Kontakt mit Vince McMahon auf und einigte sich mit ihm, noch einen letzten Anlauf in der WWF zu nehmen. Graham bestritt genau ein Match, ehe ihn eine schwere Verletzung schon wieder an die Seitenlinie zwang: Er musste sich eine künstliche Hüfte einsetzen lassen. Gegen den Rat seiner Ärzte arbeitete er aber trotzdem auf ein Comeback im Ring hin.

McMahon machte das Beste daraus und entfachte einen riesigen Hype um Grahams Comeback. Er ließ seine Operation filmen, strahlte fortwährend Videosegmente aus, die Graham bei seiner Reha zeigten und bereitete eine Fehde mit Butch Reed vor, der diese Einspieler ständig abschätzig kommentierte. Doch Grahams Rückkehr dauerte erneut nur wenige Monate, als ihm sein Körper erneut einen Strich durch die Rechnung machte. Diesmal war es sein Knöchel, der so abgenutzt war, dass er sich einer Arthrodese, einer operativen Gelenkversteifung unterziehen musste. Diese Operation beendete Grahams aktive Karriere endgültig.

Vince McMahon fand eine neue Rolle für ihn, indem er ihn zum Manager von Don Muraco machte. Doch Grahams Probleme beim Laufen machten bald auch das unmöglich: Ein Manager mit Gehhilfe versprühte nicht gerade die jugendliche Dynamik, die McMahon in seinem Produkt sehen wollte. Graham versuchte sich danach als Color-Kommentator, doch Anfang 1989 kam McMahon zum Schluss, dass er in seiner Firma keinen Platz mehr für Graham hatte und entließ ihn. Er brach damit ein vorher gegebenes Versprechen, dass er Graham immer einen Job freihalten würde.

Die Steroide hinterlassen ihre Spuren

Die gesundheitlichen Probleme Grahams waren die Folge von einem unrühmlichen Faktor in seiner Karriere. Klar, Graham lebte von seinem Charisma und seinem innovativen Auftreten, aber untrennbar mit seinem Erfolg war auch sein aufgepumpter Körper verbunden – und der war nicht ohne exzessiven Gebrauch chemischer Mittelchen zu haben. Graham begann Mitte der Sechziger Jahre damit Steroide einzunehmen. Sie waren damals noch legal und ihre Risiken weitgehend unerforscht. Unzählige Wrestler nach ihm sahen, wie Grahams chemisch gestählte Physis ihn zum Superstar machte und taten es ihm gleich. Die wenigsten dürften dabei wissen, wie Grahams Gesundheit unter den Folgen des Steroidmissbrauchs gelitten hat.

Grahams erwähnte Operationen waren nämlich erst der Beginn eines nicht enden wollenden Martyriums. Seine Hüftprobleme wurden chronisch: 1991 musste seine Hüfte erneut ersetzt werden, drei weitere Hüft-OPs folgten. Hinzu kam, dass Grahams Wirbelsäule quasi in sich zusammenfiel. Graham schrumpfte in Folge dessen um fast acht Zentimeter, außerdem wurde er zeugungsunfähig. Er wurde Anfang der Neunziger offiziell für behindert erklärt.

Graham schreibt nahezu alle seine Probleme dem Steroidmissbrauch zu. Dabei geht es ihm nicht nur um die direkten Zusammenhänge, sondern auch die indirekten, psychologischen Folgen. „Die Steroide vermitteln einem ein Gefühl der Stärke“, erklärte er einmal einem Interview: „Man fühlt sich unverwundbar.“ Darum habe er seinem Körper mehr zugemutet, als er vertragen konnte.

Als er durch seine körperlichen Gebrechen seinen Job verlor, wurde Graham depressiv und verbittert, dachte sogar an Selbstmord. Hierzu trug bei, dass er auch finanziell schwere Zeiten durchlitt: Das Geld aus seinen guten Jahren war verprasst, er lebte von der Sozialhilfe. Graham verklagte die WWF und diverse Pharmafirmen und mischte sich auch lautstark in die Diskussion um den Steroidskandal ein, der wenig später über die Liga hereinbrach und sie um ein Haar ruiniert hätte. Graham beschuldigte die WWF für seinen Zustand mitverantwortlich zu sein, er sagte im Steroidprozess gegen McMahon aus und beschimpfte ihn öffentlich in einer nationalen Talkshow. Dazu erhob er auch im parallel laufenden WWF-Sexskandal das Wort und setzte falsche Behauptungen über seinen früheren Mentor Pat Patterson in die Welt. Das Verhältnis von Graham und McMahon war danach jahrelang zerrüttet.

Der Leidensweg geht weiter

Graham befand später, dass er zu dieser Zeit über das Ziel hinausgeschossen ist. Viele seiner Anschuldigungen gegen die WWE waren haltlos, wie er selbst zugab – er hätte einfach auf einen letzten Zahltag hingearbeitet. Letztendlich zog er seine Klagen zurück, er schrieb sogar einen Entschuldigungsbrief an McMahon. Es dauerte danach noch ein paar Jahre, aber schließlich nahmen die beiden ihre Beziehung wieder auf. Die WWE engagierte ihn für diverse Gastauftritte, nahm ihn 2004 in die Hall of Fame auf, verlegte seine lang geplante Autobiographie „Tangled Ropes“ und brachte auch eine DVD über seine Karriere heraus.

Es waren zwei Faktoren, die Graham aus seinem psychischen Loch herausholten: Zum einen sein wieder gefundener Glauben, den er während nach seiner Wrestlingkarriere eher vernachlässigt hatte: Abgesehen von den Drogeneskapaden hatte er auch sein Privatleben lange Zeit nicht im Griff: Er hatte mehrere Scheidungen hinter sich und zwei Kinder gezeugt, um die er sich nicht kümmerte. In den Neunzigern fand er jedoch wieder zu Gott, er begann erneut zu predigen und Gottesdienste auszurichten – er hielt auch die Beerdigung von Eddie Guerrero ab. Der zweite Faktor war seine Frau Valerie, die ihm durch all seine Leiden hindurch half – auch diejenigen, die noch kommen sollten.

Im Januar 2002 rebellierte Grahams Leber, nachdem er sie jahrzehntelang mit Chemie vergiftet hatte: Als Folge dessen platzten vier Blutgefäße in seinem Körper. Die inneren Blutungen mussten mit mehreren Transfusionen ausgeglichen werden, zeitweise war seine Blutzirkulation so schwach, dass ihm die Amputation eines oder mehrerer Gliedmaßen drohte. Der Verdacht auf Leberkrebs bestätigte sich zwar nicht, aber Grahams Leber war derart zerschunden, dass eine Transplantation unumgänglich wurde. Graham bekam schließlich ein Spenderorgan eines weiblichen Unfallopfers eingepflanzt und kam wieder auf die Beine – was schon nahe an ein medizinisches Wunder herankam.

Eineinhalb Jahre später verbrachte Graham zwei Wochen wegen einer Darmblockade im Hospital. Sein Darm verdrehte sich, doch normalisierte sich zu Grahams Glück von selbst – eine OP wäre aufgrund seiner vorherigen Probleme hochriskant gewesen. Wenige Monate später bekam Graham jedoch einen Rückfall, bei dem der Darm durch seinen Bauch stach. Im Mai 2006 musste er wegen einer erneuten Darmblockade noch einmal ins Krankenhaus.

Bei diesem Leidensweg verwundert es nicht, dass sich der einstige Pionier des Steroidmissbrauchs zum engagierten Vorkämpfer dagegen entwickelt hat. Regelmäßig warnt er junge Athleten vor den Gefahren und Nebenwirkungen des künstlichen Muskelaufbaus. Er hat mit sich selbst auch das beste Fallbeispiel dafür.

Endlose Liste von Nachahmern

Der Einfluss, den Graham auf die Wrestlingwelt hatte, kann kaum hoch genug eingeschätzt werden: Unzählige Wrestler modellierten ihren Charakter nach dem Superstar, Hogan war das bekannteste und erfolgreichste Beispiel. Der Hulkster war Graham in vielerlei Hinsicht nachempfunden, noch mehr jedoch Hogans Auftreten während der nWo-Ära. Andere Wrestler kopierten Graham noch weit offensichtlicher: Jesse „The Body“ Ventura – den Graham einmal lobte, dass er sein Gimmick besser spielen würde als er selbst –, der „Universal Heart Throb“ Austin Idol, „Big Poppa Pump“ Scott Steiner oder als jüngste – wenn auch weniger muskulöse – Beispiele Johnny Nitro und Austin Starr.

Fast jeder Superstar nach ihm bediente sich aus Grahams Charakterfundus: The Rock übernahm seine Angewohnheit, von sich selbst in der dritten Person zu sprechen und auch der “limousine ridin’, jet flyin’, kiss stealin’, wheelin’ dealin’, son of a gun” Ric Flair hatte speziell in den Achtzigern weit mehr von Graham als von seinem eigentlichen Vorbild Buddy Rogers.

Grahams Erben ernteten, was er in den Siebzigern gesät hatte – und man merkt Graham auch heute noch an, dass er die Ernte gern auch selbst eingefahren hätte. Obwohl das Wrestling ihn zu einem körperlichen Wrack gemacht hat, hat er sich nicht komplett davon abgewandt, wie es Sammartino getan hat. Allerdings hat Graham erklärt, dass er sich aus heutiger Sicht nicht wieder fürs Wrestling entscheiden würde, wenn er noch einmal die Wahl hätte. Es wäre in jedem Fall ärmer ohne ihn gewesen.
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