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Die Geburtsstunde von EXTREME Championship Wrestling

Historischer Artikel

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Published on:
15.11.2008, 13:05 
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Es gibt nicht viele Ereignisse, die auch nach Jahren noch als wirklich bedeutend bezeichnet werden können. Da wären beispielsweise die erste Mondlandung, der Fall der Berliner Mauer oder Lars Rickens Traumtor im Champions League Finale von 1997. Auf einer anderen, für eingefleischte Wrestlingfans nicht weniger bedeutsamen Ebene zählt sicher auch der Moment, in dem Shane Douglas den NWA World Heavyweight Title in den Ringstaub warf und sich selbst zum "ECW Heavyweight Champion of the World" proklamierte, zu diesen unvergesslichen Ereignissen.

Für diesen einen Augenblick wurden Shane Douglas, ECW und eine kleine Bingohalle irgendwo in Philadelphia zum Mittelpunkt der Wrestlingwelt. Aber was veranlasste Douglas dazu den geschichtsträchtigsten Wrestlingtitel der Welt, den vor ihm Legenden wie Ric Flair, Terry Funk und Harley Race mit Stolz getragen hatten, einfach wegzuwerfen? Warum sagte sich eine aufstrebende Liga wie ECW, damals noch Eastern Championship Wrestling, von der großen National Wrestling Alliance los und änderte ihren Namen in EXTREME Championship Wrestling?

Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, muss man sich vor Augen führen, wie die Situation sich damals, an jenem 27. August 1994, darstellte. Zwar konnte der NWA World Heavyweight Title auf eine reiche Geschichte zurückblicken, doch sein aktueller Wert war nicht annährend mit dem der vergangenen Zeiten zu vergleichen. Seit knapp einem Jahr war der Titel vakant, nachdem der damals amtierende Champion Ric Flair durch seine Bindung an World Championship Wrestling nicht mehr in der Lage war, regelmäßige Titelverteidigungen zu bestreiten.

Ein neuer Champion, der bestenfalls auch noch die großen Fußstapfen von Harley Race oder Terry Funk hätte ausfüllen können, war nicht in Sicht, zumal die NWA nur noch ein Schatten ihrer selbst war. Auf nationaler Ebene ohne Bedeutung und bei weitem keine Konkurrenz für große Ligen wie die World Wrestling Federation oder WCW. Von den regionalen Mitgliedsligen war Eastern Championship Wrestling zumindestens diejenige, die mit ihrer Fernsehsendung die besten Einschaltquoten verbuchen konnte, was der Liga die Austragung des Turniers um den vakanten Weltmeisterschaftstitel einbrachte.

Hinter Eastern Championship Wrestling steckten Besitzer Tod Gordon und Booker Paul Heyman. Und beide hatten ihre Liga nicht von ungefähr zur erfolgreichsten derer gemacht, die noch unter dem NWA-Banner veranstalteten. Die modere Ausrichtung von ECW wollte nun so überhaupt nicht zur altbackenen Mentalität der NWA passen. "Wir mussten etwas tun, um uns von der alten Schule des Business abzuheben", so Heyman später in einem Interview. "Wir wußten, dass die NWA all das war, wovon wir wegkommen wollten." Und um dieses Ziel zu erreichen - und zwar mit einem großen Knall - brauchten Heyman und Gordon Shane Douglas an ihrer Seite.

Schon im Vorfeld des Turniers weihten die beiden Verschwörer Douglas in ihren Plan ein und machten ihn auf die möglichen Folgen aufmerksam. Douglas lief Gefahr sich mit einer solchen Aktion selbst zur persona non grata, zu einem Aussätzigen zu machen. Und wahrscheinlich hätten ihn diese Konsequenzen auch abgeschreckt, wenn der Präsident der NWA, Dennis Coralluzzo, höchstselbst nicht unfreiwillig zu Douglas' stärkstem Motivator geworden wäre. Coralluzzo, mit dem auch Heyman und Gordon in der Vergangenheit schon Probleme hatten, zog in einem Radiointerview mit Mike Tenay über Douglas her und unterstellte ihm Unzuverlässigkeit. Dabei ging er sogar so weit, dass er Veranstaltern dazu riet Douglas nicht für Shows zu verpflichten.

Angesichts dieser Anschuldigungen entschied sich Douglas dazu mit Heyman und Gordon gemeinsame Sache zu machen. Nachdem er also Too Cold Scorpio, seinen Gegner im Turnierfinale, mit einem Belly-To-Belly Suplex auf die Matte geschleudert und bis drei gepinnt hatte, bekam er den NWA World Heavyweight Title in die Hände gedrückt. Freudestrahlend und seinem verstorbenen Vater dankend begann er die großartigen Wrestler aufzuzählen, die vor ihm den Titel gehalten hatten, nur um dann folgendes festzustellen: "They can all kiss my ass!"

Spätestens hier dürfte Coralluzzo, der Fingernägel knabbernd am Ring saß, geahnt haben, dass etwas nicht stimmt. Und nun legte Douglas richtig los. Er erklärte nicht nur die NWA für tot, sondern tat das, was vor ihm noch niemand gewagt hatte. Unter den ungläubigen Blicken der Fans, die damals als die smartesten der Welt galten, und vor den Augen von Coralluzzo warf er den Titel zu Boden. "Hey man, he's pissin' on the belt," so die Reaktion der NWA Offiziellen, wie sich Tod Gordon, der neben ihm saß, erinnert.

Statt des prestigeträchtigen NWA Titels schnappte sich Douglas nun seinen ECW Title und verkündete, dass er von nun an der "ECW Heavyweight Champion of the World" sei. Mit seinen Worten traf Douglas bei den Fans in der Viking Hall genau den richtigen Nerv. Eigentlich sollte ein neuer NWA Champion gekrönt werden, doch nun stand "The Franchise" als ECW World Heavyweight Champion in der Ringmitte und wurde von den frenetischen Fans mit lauten "ECW, ECW"-Sprechchören gefeiert.

Während Coralluzzo so verwirrt war, dass er nach der Show sogar noch ein Interview für die ECW TV-Show gab, in dem er Douglas auch weiterhin als den amtierenden NWA World Heavyweight Champion bezeichnete, zeichnete Gordon seinerseits schon ein Statement auf, in dem er sich und seine Liga von der NWA lossagte und die Umbenennung von Eastern Championship Wrestling in Extreme Championship Wrestling perfekt machte. Da Gordons Statement schon am folgenden Morgen ausgestrahlt wurde, das von Coralluzzo allerdings erst im Laufe der nächsten Woche, erklärte der NWA Präsident quasi einen Wrestler zum Champion, der gar nicht mehr bei seiner Liga aktiv war.

Heymans Plan war also aufgegangen. Extreme Championship Wrestling war auf einen Schlag nicht nur zu einem der Hauptgesprächsthemen der Wrestlingwelt geworden, sondern man hatte das eigene, innovative Produkt auf spektakuläre Art und Weise vom klassischen Wrestling der NWA abgehoben. Die Botschaft, die Heyman, Gordon und Douglas durch ihre Aktion vermittelten war ebenso einfach wie überzeugend. ECW war nicht wie die anderen Ligen mit ihren albernen Gimmicks und langweiligen 08/15-Wrestler. ECW war anders. ECW war innovativ. ECW scherrt sich weder um Konventionen noch um Tradition.

ECW war von nun an EXTREME.


Siehe auch: Shane Douglas - "And they can all kiss my ass!" (Promo Datenbank)