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Edge: Ein Triumph aus dem Jahrbuch

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Published on:
09.01.2006, 00:00 
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In seinem High-School-Jahrbuch stand es bereits geschrieben: „Er ist derjenige, der am ehesten mal WWF Heavyweight Champion werden wird“, prophezeiten die Mitschüler von Adam Copeland. Rund fünfzehn Jahre später ist die Voraussage eingetroffen. Bei New Year’s Revolution löste Edge völlig überraschend seinen vor neun Monaten verdienten Vertrag auf ein Titelmatch ein und sicherte sich erstmals den wichtigsten Gürtel der McMahon-Company.

Dass Edge von seinen Schulkameraden als potenzieller Champion gesehen wurde, war kein Zufall. Schon seit frühester Jugend ist Copeland ein Wrestlingverrückter im besten Sinne. „Es gab die Comichefttypen, die rauchenden Typen, die Heavy-Metal-Typen und ich war eben der Wrestlingtyp.“ Klar, dass Copeland Anfang der Neunziger die Gelegenheit ergriff, als die Zeitung Toronto Sun in einem Aufsatzwettbewerb ein Training mit dem Wrestlern Ron Hutchinson und Sweet Daddy Siki verloste.

„Ein neuer Ric Flair“

Nach einigen Jahren in der Indyszene von Kanada und später auch den USA beförderte sich Copeland auf das Radar der WWF. Die Vorschusslorbeeren bei seinem Debüt 1998 waren gewaltig: Vince Russo bezeichnete ihm WWF-Magazin als „neuen Ric Flair“, Jim Ross erklärte auf seiner Hotline, dass er ein kommender World Champion sei und auch Jim Cornette war sich sicher: „Dieser kanadische Junge wir Geschichte schreiben.“

Fest an seiner Seite stand Edge in der Frühzeit seiner Karriere sein Partner Christian – laut Storyline sein Bruder, in Wahrheit sein Jugendfreund. Edge und Christian – anfangs als düstere Gothic-Jünger, später als genial verrückte Comedy-Heels – gehörten neben den Hardy Boyz und den Dudleys zu den tragenden Säulen der Tag-Team-Szene um die Jahrtausendwende. Die Dreierfehde zwischen den genannten Teams hielt die Fans gut zwei Jahre in Atem – besonders natürlich die spektakulären Tables Ladders & Chairs Matches beim Summer Slam 2000 und bei Wrestlemania X-7. Es waren denkwürdige Aufeinandertreffen mit spektakulären Bumps, die hart an der Grenze des Irrsinns lagen.

Kurz nach dem zweiten TLC trennten sich die Wege des Teams und Edge kletterte als Einzelwrestler die Leiter kontinuierlich nach oben: Er gewann das King-of-the-Ring-Turnier 2001 und holte sich mehrmals der Intercontinental Title – sein erster Gewinn in Toronto 1999 war mehr ein Bonbon für die kanadischen Fans – und beraubte 2002 Kurt Angle in einem Hair-vs.-Hair-Match seiner Lockenpracht. Im selben Jahr erfüllte sich Edge einen Kindheitstraum, als er kurzzeitig Tag Team Champion mit Hulk Hogan wurde – demselben Hogan, dem er bei Wrestlemania VI noch von den Zuschauerrängen aus zujubelte.

Nacken-OP „wie ein Faustschlag“

Gegen wen Edge auch immer antrat – niemals schont er sich, immer nahm er gefährliche Bumps und ging dabei stets ein hohes Verletzungsrisiko ein. Edge wusste das: „Ich habe das gemacht, um auf mich aufmerksam zu machen.“ Anfang 2003 forderte Edges Kampfstil seinen Tribut. Eine Nackenverletzung, die er monatelang unbemerkt mit sich rumschleppte, zwang ihn zu einer Operation und zu einer mehr als ein Jahr langen Pause: „Das war wie ein Faustschlag ins Gesicht.“

Edges Verletzung änderte jedoch nichts daran, dass die WWE weiterhin von seinen Qualitäten überzeugt war. Während Edge sich auskurierte, schmiedeten die Writer eifrig Pläne für ihn. Edge galt als Kandidat Nummer eins, wenn es darum ging, wer Triple H bei Wrestlemania 21 den World Heavyweight Title abnehmen könnte. Im März 2004 war es dann soweit: Edge meldete sich im Zuge der Draft Lottery zurück und begann bei RAW Jagd auf Hunter uns seine Kumpanen von der Evolution zu machen.

Verwaschener Face-Charakter

Dumm nur: Was die Evolution Edge eigentlich getan hatte, wurde nie so recht erklärt. Ganz allgemein blieb sein Charakter als einzelgängerischer Held seltsam verwaschen und eindimensional. Die WWE setzte Edge dem Publikum vor und setzte voraus, dass es ihm zujubelte. Es kam, was kommen musste: Die Fans nahmen Edge nicht an und buhten ihn regelmäßig aus der Halle - nicht einmal sein Heimpublikum in Toronto konnte er beim Summer Slam 2004 auf seine Seite ziehen.

Die WWE tat nach einer Weile das einzig richtige und turnte Edge zum Heel – und anders als der konturlose Face bekam der Heel-Edge auch eine klare Linie: Die Obsession, nach all den Jahren in der WWE endlich den World Title zu erringen – simpel, aber effektiv. Als die Fans ihm diese Chance beim interaktiven Pay Per View Taboo Tuesday erwartungsgemäß verwehrten, schnappte Edge über und attackierte den stattdessen gewählten Shawn Michaels und kostete ihn damit den Sieg gegen Triple H.

„Angelina Jolie des Locker Rooms“

In den kommenden Monaten mauserte sich Edge zu Amerikas wohl meistgehasstem Wrestler. Einen erheblichen Anteil an der Entwicklung hatte dabei ein Vorfall aus seinem Privatleben. Er begann eine Affäre mit seiner Kollegin Lita und hinterging damit seinen langjährigen Freund Matt Hardy, der den Fehltritt seines verheirateten Kollegen via Internet öffentlich machte. Als Hardy kurz darauf entlassen wurde und Lita Edge dann auch on Air zur Seite gestellt wurde, erreichten die Buhrufe Rekordausmaße. „Ich bin die Angelina Jolie des Locker Rooms“, erklärte der frustrierte Edge sarkastisch.

Seinen Aufstieg zum Top-Bösewicht allein als Folge von „Litagate“ einzuordnen, täte Edge jedoch unrecht: Konstant unterhielt er die Fans mit hervorragenden Matches und geradezu gnadenlos guten Promos, welche auch die bisweilen völlig verhunzte Fehde gegen den wiedergekehrten Matt Hardy sehenswert machten. Sein Anrecht auf einen Titelkampf hatte er damals schon in der Tasche – oder besser gesagt im Koffer: Bei Wrestlemania 21 erkämpfte er ihn sich in einem Leitermatch gegen Chris Benoit, Kane, Shelton Benjamin, Christian und Chris Jericho.

Damit, dass Edge den Titelshot einlöst, rechneten manche schon gar nicht mehr – zu nahe lag der Verdacht, dass die WWE keinen rechten Plan hinter der Money-In-The-Bank-Story hatte und mal wieder auf das Kurzzeitgedächtnis ihrer Fans vertraute. Umso überraschender kam dann das spontane Titelmatch gegen John Cena, der als Face-Champion zuletzt immer weniger von den Fans akzeptiert wurde. Ausgerechnet der Mann, dessen Run als Top-Face vor einiger Zeit selbst von den Fans abgewürgt wurde, beendete nun die Regentschaft des in Ungnade Gefallenen – und wird dafür auch noch bejubelt. Ein Treppenwitz der WWE-Geschichte.