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Kurt Angle: Ein Leben am Limit

Personalie

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Published on:
11.01.2006, 00:00 
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"Immer an die Grenzen gehen!" Dieser Satz hat sich zur Universalfloskel für Sportler, Trainer und Manager entwickelt. Doch es gibt wohl kaum einen, der dieses Credo so sehr beherzigt wie Kurt Angle. Sein fast schon unmenschlicher Wille, in allem, was er macht, der beste zu sein, ist stärker als jedes Zwicken in seinem Körper und jeder Schicksalsschlag, den er in seinem bewegten Leben hinnehmen musste. Am vergangenen Abend hat ihn dieser Wille einmal mehr an die Spitze der WWE geführt: In einer Battle Royal sicherte er sich bei Friday Night SmackDown! den vakanten World Heavyweight Title.

Woher Kurt Angle seinen Durchhaltewillen hat, kann man ahnen, wenn man sich die Geschichte seines Vaters David betrachtet: Im Sommer 1985 fiel er von einem Baugerüst und schlug mit dem Kopf voran auf dem Betonboden auf. Seine Schädeldecke zersplitterte in drei Teile, seine Schulterblätter brachen auf der Stelle. David Angle erhob sich und ging aus eigener Kraft in das nächstgelegene Krankenhaus, um sich dort selbst einzuliefern. Zwei Tage später stellten die Ärzte seinen Tod fest.

Olympiasieg mit kaputtem Nacken

Zum Ersatzvater von Kurt Angle entwickelte sich David Schultz, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen WWF-Wrestler. Schultz war ein Weltklasseringer und Goldmedaillengewinner, der den talentierten Nachwuchssportler unter seine Fittiche nahm. Doch auch mit Schultz nahm es ein böses Ende: Er wurde im Januar 1996 erschossen. Sein Mörder, John du Pont war ein geisteskranker Multimillionär, der Schultz für einen Teil einer Verschwörung gegen ihn hielt.

Kurz darauf brach sich Angle bei der US-Meisterschaft zwei Halswirbel – eine Verletzung, die noch schmerzhafter wurde, weil sich die Wirbel in sein Rückenmark bohrten. Seine Ärzte warnten ihn, dass er im Rollstuhl landen könnte, wenn er weitermacht. Angle schlug die Warnungen in den Wind und trainierte mit Hilfe von Schmerzmitteln weiter auf sein großes Ziel hin: Die Olympischen Sommerspiele in Atlanta. Tatsächlich schaffte er es im Freistil bis 100 Kilogramm ins Finale und bezwang dort den Iraner Abbas Jadidi. Als die Mattenrichter ihm ihre Entscheidung mitteilten sank Angle auf die Knie und brach in Tränen aus.

Als Angle 1999 den Weg zum „richtigen“ Wrestling einschlug, zeigte sich wieder schnell, dass er auf dem Weg nach oben seinen Körper nicht schont. Bei einem Triple Threat Match um den WWF World Heavyweight Title beim Summer Slam 2000 erlitt er eine schwere Gehirnerschütterung, als Triple H ihm einen Pedigree durchs Kommentatorenpult verpassen wollte, der Tisch aber vorher zusammenbrach. Angle wurde von Sanitätern in den Backstage-Bereich gebracht, doch kaum, dass er wieder halbwegs bei Sinnen war, kehrte er zum Ring zurück um das Match mit Hunter und The Rock zu Ende zu bestreiten.

Krankenakte wie ein Lexikon der Sportverletzungen

Es war nicht das einzige Mal, dass Angle seine Gesundheit, ja sein Leben riskierte, um sich selbst und den Fans seine Klasse zu beweisen. Bei einem Cage Match gegen Chris Benoit 2001 zeigte er einen schulmäßigen Moonsault von der Spitze der viereinhalb Meter hohen Stahlkonstruktion. Zwei Jahre später vertagte eine dringend notwendige Nackenoperation, um bei Wrestlemania XIX ein Fünf-Sterne-Match gegen Brock Lesnar hinzulegen. Spätestens da waren die meisten sicher: An Angles gesundem Menschenverstand fehlt wohl der Einschaltknopf.

Der Raubbau, den Kurt Angle an seinem Körper betrieb, ist immens. Seine Krankenakte liest sich wie ein Lexikon der Sportverletzungen: Angle ist auf dem linken Ohr taub, er hat sechs Knieoperationen und mehrere Wirbelsäulen-OPs hinter sich, Nervenschäden im Gesicht, ausgerenkte Schultern, gerissene Muskeln, zerstörte Bänder. „Irgendwann werde ich ihn zwingen müssen aufzuhören“, meinte seine Frau Karen vor einigen Jahren. Kurt lächelte nur und antwortete: „Ich werde niemals aufhören.“ Im August vergangen Jahres hat Karen ihn verlassen.

In einem Interview erklärte Kurt Angle einmal, dass er nur noch mit Hilfe von Schmerzmitteln in den Ring steigen könne. Kein Wunder, dass die Sorge um Angles Gesundheit nicht erst seit dem Tod seines Kollegen Eddie Guerrero groß ist. Guerrero starb an einem Herzinfarkt, der auch Folge seines jahrelangen Schmerzmittelmissbrauchs war. Bedenkt man, dass es in Kurt Angles Familie mehrere Fälle von Herzkrankheiten gab – unter anderem starb eine seiner Schwestern daran – wird einem noch mulmiger.

Riesiger Respekt bei Fans

Als Fan von Kurt Angle ist man ständig hin- und hergerissen: Einerseits müsste ihm jeder, der es gut mit ihm meint, raten, schleunigst seine Karriere zu beenden und auf eine lange Reha-Kur in den Süden zu fliegen. Andererseits würde es schwer fallen auf seine superbes Mic-Work und seine unvergleichliche Intensität zu verzichten – vor allem aber auf seine Fähigkeit, noch aus einem Wischmob ein Vier-Sterne-Match zu zaubern, gar nicht zu reden von den Klassikern, die er mit anderen Hochkarätern wie Chris Benoit, Brock Lesnar oder zuletzt Shawn Michaels ablieferte.

Kurt Angle ist trotz vier Regentschaften als WWE Heavyweight Champion nie ein Megastar wie The Rock oder Stone Cold Steve Austin geworden. Doch der Respekt, den er sich im Lauf der Jahre bei den eingefleischten Fans erspielte, ist fast noch größer. So konnte es auch nicht verwundern, dass diese rebellierten, als Angle bei RAW die Aufgabe zufiel, den viel kritisierten John Cena als glaubwürdigen Face-Champ over zu bringen. Dass die WWE auf die billige Tour versuchte, die Rollenverteilung zurechtzurücken, indem sie Angle gegen die US-Truppen schießen ließ, trieb nur noch mehr Anhänger auf seine Seite.

Trotz alldem war es letztlich Edge und nicht Angle, der Cena bei New Year’s Revolution den WWE Heavyweight Title abnehmen durfte. Angle sah wie der großer Verlierer der Konstellation aus. Völlig überraschend jedoch tauchte er nun beim anderen Roster auf und holte sich unter tosendem Jubel den zweiten wichtigen Gürtel. Verdient hat er ihn sich wie kein zweiter.