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Jeff Hardy: Abgestürzter Ikarus auf neuem Flugversuch

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Published on:
07.08.2006, 00:00 
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Es ist ein Naturgesetz, dass jeder Akteur im Wrestlinggeschäft seine Fans und seine Gegner hat. Doch es gibt wohl niemanden außer Vince Russo, der von den beiden Gruppen auf so unterschiedliche Weise wahrgenommen wird wie wie der gerade wieder von der WWE verpflichtete Jeff Hardy. Für die einen ist der jüngere Hardy-Bruder ein Revolutionär des Geschäfts, der die Fans mit seinen Wahnsinnsspots elektrisiert. Für die anderen ist er ein talent- und charakterloses Drogenwrack, das im Ring eine Gefahr für sich und andere darstellt.

Objektiv feststellbar ist auf jeden Fall eines: Mit dem Wrestling im klassischen Sinne hat Jeff wenig am Hut. In den Ring steigen bedeutete für ihn immer, nach dem ultimativen Kick zu suchen – nach dem Spot, bei dem jeder Fan auf den Beinen steht und sich fragt, wie dieser irrsinnige Typ das nun wieder überlebt hat. Das eigentliche Match war für ihn nie mehr als die Ouvertüre, die das Publikum bereit für das spektakuläre Finish macht. Diese Einstellung hat ihn berühmt gemacht – aber eben auch berüchtigt.

Vom Tabakfeld aufs Trampolin

Hardys Faible dafür, hoch zu fliegen, ist vielleicht eine logische Folge dessen, dass sein familiärer Hintergrund kaum bodenständiger sein könnte. Jeff wuchs auf einer Tabakfarm in North Carolina auf. Seine Mutter verlor er an den Krebs, als er acht Jahre alt war. Die Hardys bekamen daher früh die Verantwortung, die Farm und Haushalt am Laufen zu halten. Ihre Leidenschaft fürs Wrestling war ihre Ablenkung vom harten Alltag. Die beiden hoben eine Backyard-Liga mit dem viel sagenden Namen Trampoline Wrestling Federation aus der Taufe – aus der sich später die semi-professionelle OMEGA-Promotion entwickelte, die Stars wie Shannon Moore, Gregory Helms und Joey Mercury hervorbrachte.

Schon damals zeigte sich, wer von den beiden Brüdern der bodenständigere war: Während Matt sich ums Organisatorische und das Finanzielle kümmerte, testete Jeff im Ring seine Grenzen aus. Er ließ sich von Vorbildern wie Rey Mysterio und Sabu inspirieren und machte auch einen Trip nach Japan, um seinen Horizont zu erweitern. Jeff war 16, als er sein erstes Indy-Match bestritt – mit 17 stand er als Jobber das erste Mal in einem WWF-Ring. Drei Jahre später bekamen die beiden einen Vollzeitvertrag und wurden als eine Art neuzeitliches Pendant der Rockers aufgebaut.

Es dauerte etwas, bis das Publikum warm mit den beiden Youngstern wurde. Der Durchbruch kam bei No Mercy 1999, als sie ihr erstes Leitermatch gegen Edge und Christian bestritten. Die Fans waren derart begeistert von der Athletik und Waghalsigkeit der beiden Teams, dass sie ihnen noch am Abend darauf stehende Ovationen spendeten. Gemeinsam mit den Dudley Boyz wurden die beiden Gespanne zu den dominanten Figuren der Tag Team Szene – und wichtige Aushängeschilder der Attitude-Ära. Mit ihren beiden Tables Ladders & Chairs Matches machten sich die drei Teams regelrecht unsterblich.

Verlust der Leidenschaft

Auch wenn Kritiker bemerkten, dass Edge & Christian und die Dudleys qualitativ besser waren: Es waren die Hardys, die die Kassen der WWE am lautesten klingeln ließen. Die beiden entwickelten sich zu Teenieschwärmen, deren Fanartikel Millioneneinnahmen brachten. Als Einzelwrestler konnte Jeff jedoch nicht an die Erfolgsgeschichte anknüpfen. Ein Grund dafür war Hardys Drogenkonsum, den viele seiner Fans bis heute als böses Internet-Gerücht abtun. Fakt ist allerdings, dass Jeff selbst eingeräumt hat, eine bestimmte Freizeitdroge genommen zu haben. Er bestreitet nur, dass er damit ein ernstes Problem gehabt hätte. Jim Ross – der damalige Personalchef der WWE – sah das anders und stellte Hardy 2003 ein Ultimatum, auf Entzug zu gehen. Hardy ließ es verstreichen und wurde gefeuert.

Nach Hardys Entlassung wurde er in Anspielung auf seinen hochfliegenden Stil oft mit Ikarus verglichen – der griechischen Sagengestalt, die vom Himmel stürzte, weil sie so hoch flog, dass die Sonne ihre Flügel verbrannte. Doch wenn überhaupt, hat sich Hardy seine Flügel eher selbst verbrannt. Nachdem das Wrestling zehn Jahre seines Lebens beherrschte, war er ausgebrannt und fand keine Erfüllung mehr darin. Er begann seine Kreativität in anderen Bereichen auszuleben – in Kunstplastiken, Gedichten und als Sänger seiner Band Peroxwhy?gen. Die Drogen „halfen“ ihm dabei. Seinen Hauptberuf ließ er derweil schleifen: Immer wieder kam er zu House Shows zu spät, in untragbarem Zustand oder auch gleich gar nicht. Auch sein Arbeitseifer im Ring ließ spürbar nach. Hardy gab in einem Interview kurz nach seiner Kündigung selbst zu, die Leidenschaft für das Wrestling verloren zu haben.

Unter diesen Voraussetzungen suchte er sich die ganz falsche Liga für sein erstes Match auf größerer Bühne nach seiner WWE-Entlassung aus. Bei Ring of Honor wurde Jeff gnadenlos aus der Halle gebuht und kam verständlicherweise nie wieder. Ein halbes Jahr später nahm ihn TNA Wrestling unter Vertrag und gab ihm umgehend einen Platz an der Spitze der Promotion. Bei Victory Road 2004 – dem ersten monatlichen Pay Per View der Promotion – durfte er Jeff Jarrett um dessen NWA World Title herausfordern.

Ein Zugpferd auch in Abwesenheit

Doch es dauerte nicht lange, ehe sich Hardy auch bei TNA ins Doghouse manövrierte. Im Mai 2005 verpasste er aufgrund angeblicher Anreiseprobleme sein Pay-Per-View-Match mit Raven und wurde suspendiert. Ein paar Monate später wurde er begnadigt – nur um bei Turning Point im Dezember den nächsten wichtigen Auftritt zu verpassen. Nach eigenen Aussagen hatte er seinen Flug verschlafen. Mit dieser Aktion verprellte Hardy auch seine letzten Befürworter bei TNA und wurde nicht mehr eingesetzt – obwohl er auch in Abwesenheit noch die meisten Fanartikel für die Promotion verkaufte.

Das dürfte auch der Grund sein, warum Hardy trotz seiner Latte an Eskapaden eine neue Chance bei den McMahons erhält. Dennoch rätseln die meisten Beobachter, was sich die bei WWE von dieser Verpflichtung verspricht. Die ersten Wetten, wie lange es dauert, bis er die erste Show verpasst oder durch den ersten Drogentest fällt, sind längst abgeschlossen.

Glaubt man den Stimmen aus seinem Umfeld hat Jeff die Drogen allerdings hinter sich gelassen – und er beteuerte auf WWE.com auch eilfertig, seine Leidenschaft für das Wrestling wieder gefunden zu haben. Trotzdem stehen große Fragezeichen dahinter, was Jeff noch leisten kann. Sein Spotwrestling war und ist Raubbau an seinem Körper – und einen Stil, der ihn besser schont konnte oder wollte er sich nie angewöhnen. Auch jetzt ist Hardys erste Ankündigung für sein WWE-Comeback, dass er „von noch höheren Leitern durch noch massivere Tische“ springen wolle. Seine Kritiker wird Jeff so nicht widerlegen können. Die entscheidende Frage wird aber ohnehin eher sein, ob er seine Fans noch einmal begeistern kann. Nur wenn ihm das gelingt, kann der neue Flugversuch des abgestürzten Ikarus funktionieren.
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