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Santino Marella: Eine Klischeeparade macht Karriere

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Published on:
14.01.2008, 00:00 
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Der Wrestling-Fan an sich - speziell, wenn er im Internet unterwegs ist - ist ein wankelmütiges Wesen. Was für ihn heute noch das heißeste ist, was das Geschäft zu bieten hat, kann für ihn morgen schon ausgelutscht, langweilig und reif für die Entlassung sein. Dass auch der umgekehrte Weg möglich ist, zeigt das Beispiel Santino Marella. Vor wenigen Monaten noch die Hassfigur schlechthin bei den WWE-Fans, eine Gimmick-Überholung später feierte er nun einen Erdrutschsieg bei unserer Jahresend-Wahl zum Newcomer des Jahres 2007.

Auch wenn die Konkurrenz zugegebenermaßen nicht riesig war: Marellas Werdegang ist beispielhaft dafür, wie stark der richtige und der falsche Einsatz von Talent die Wahrnehmung auf einen Wrestler beeinflussen kann. Der missglückte Babyface-Push Mitte des Jahres war für viele Fans damals unzweifelhafter Beleg, es mit einem unfähigen und charismafreien Nichtskönner zu tun zu haben. Er wurde als Pizzabäcker verspottet, den man wieder zurück nach Italien schicken solle. Mittlerweile mögen die wenigsten auf das Unterhaltungstalent verzichten, dass Marella mittlerweile bewiesen hat. Verschämt werden langsam aber sicher die Fünfer- und Sechser-Ratings revidiert, mit denen Marella auf Cagematch noch vor einiger Zeit überschüttet wurde. Und nach Italien will ihn kaum noch jemand zurück schicken.

MMA-Karriere zerschlägt sich

Könnte man auch gar nicht, denn Marella kommt in Wahrheit nicht aus Italien. Er ist ein italienisch-stämmiger Kanadier, der in New Jersey lebt, aber als Russe erste Berühmtheit erlangte. Und um die multinationale Verwirrung komplett zu machen, hat er seine Wrestlingkarriere der japanischen Einwanderungsbehörde zu verdanken. Denn eigentlich hatte John Carelli - wie Marella in Wahrheit heißt - ganz andere Vorstellungen für seine berufliche Laufbahn. Carelli, der rund zwanzig Jahre als Judoka aktiv war, wollte seine Kampfsportkünste nutzen, um MMA-Fighter zu werden. Er zog nach Japan und plante, mehrere Jahre dort zu kämpfen, sich einen Namen zu machen, so dass er auch in Nordamerika einen Fuß in die Tür bekommen könnte.

Doch diesen Karriere-Plan musste Carelli ad acta legen, als er mit seinen Visaangelegenheiten schluderte. Er blieb einige Zeit länger im Land, als sein Visum es zuließ und musste das Land verlassen - verbunden mit einem einjährigen Einreiseverbot. Carelli musste sich neu orientieren und schrieb sich an der Wrestlingschule der WWE-Farmliga OVW ein. Carelli war Wrestling-Fan, trotzdem war das Geschäft ziemliches Neuland für ihn. Als Johnny GeoBasco hatte er bis dahin lediglich ein paar nicht nennenswerte Auftritte in Ontarios Indy-Szene absolviert.

Trotzdem sorgte er schon kurz nach seiner Einschreibung 2005 für erste Schlagzeilen - auch ohne dass ihn irgendjemand kannte. Er war nämlich Auslöser für die Entlassung von Jim Cornette als Verantwortlicher für die WWE-Nachwuchsförderung. Die temperamentvolle Manager-Legende hatte Carelli mehrfach geohrfeigt, nachdem er bei ihm die Todsünde Kayfabe-Bruch witterte. Carelli, der bei einer OVW-Show mit seiner Tochter im Publikum saß, hatte gelacht, als der Boogeyman auf seine Tochter zuging, um ihr Angst einzujagen - ein Unding für Cornette, der den Boogeyman damals noch als ernsthaften Heel pushen wollte.

Vom russischen Tazz zum italienischen 1-2-3 Kid

Dass die WWE sich auf Carellis und nicht auf Cornettes Seite stellte, war doppeltes Glück für ihn. Denn erst Cornettes Nachfolger Paul Heyman verschaffte ihm den WWE-Deal und den Rang eines persönlichen Lieblingsprojekts. Der frühere ECW-Boss hörte von Carellis MMA-Hintergrund und entschloss sich, ihn zu einer Art OVW-Version von Tazz zu machen: Aus Carelli wurde Boris Alexiev, eine kompromisslose russische Kampfmaschine.

So wie Tazz in der ECW machte sich Alexiev schnell Fans mit einem authentischen Kampfstil und einer Serie von Squash-Siegen. Heyman wollte Alexiev später auch als potenziellen Fehdengegner von CM Punk in der neuen ECW unterbringen - verlor aber selbst seinen Job, bevor er den Plan realisieren konnte. In der WWE kann der Wegfall eines Förderers ein Karriere-Killer sein, zu Carellis Glück aber kam es anders. Vince McMahon persönlich nahm sich seiner an und schneiderte ihm eine von ihm selbst erdachte Gimmick-Idee auf den Leib - leider war es keine gute.

Vince machte aus Carelli Santino Marella - der Nachname war der bürgerliche Name des Hall-of-Fame-Mitglieds Gorilla Monsoon. Man wollte aus dem Newcomer einen Wiedergänger des 1-2-3 Kid machen: Einen Underdog, der sich zur Freude der Fans im Konzert der Großen behauptet. Marella nahm als angeblicher italienischer Fan eine Herausforderung Umagas bei einer RAW-Show in Mailand an - und nahm diesem mit Hilfe von Umagas Rivalen Bobby Lashley den Intercontinental Title ab. Es war ein gelungenes Debüt, doch danach verhedderten sich die WWE-Booker in der komplizierten Kunst des Underdog-Bookings.

Erfolgreicher Wandel zur Selbstparodie

Die WWE versäumte es, den Fans einen Grund zu geben, warum sie mit dem unbekannten Neuling sympathisieren sollten. Stattdessen wirkte er auf die meisten Fans bald wie ein Schwächling mit wenig mehr Aktionen als Zufallseinrollern im Repertoire. Die Folge: Der vermeintliche Publikumsliebling erntete Stille in den Hallen - oder gleich Buhrufe. Das Experiment 1-2-3 Kid 2007 wurde bald abgebrochen und der Titel ging an Umaga zurück. Es kamen auch Gerüchte auf, dass Marella nicht mehr zu halten wären, wenn auch Versuch 2 scheitern würde.

Doch Versuch 2 klappte. Santino schaffte es, als Heel genau das zu seinem Vorteil zu machen, was vorher sein Problem war: Dass die Fans ihn als Weinerling betrachteten, den man gern verprügelt sieht. Santino wurde zu einer Parodie seines früheren selbst - und dank seines Comedy-Talents zu einer urkomischen. Santino schaute sich nach eigenen Angaben von seiner italienischen Verwandtschaft ab, wie man einen komödiantisch überzeichneten Italiener gibt - und übertrug seine Beobachtungen in ein paar der lustigsten Promos der jüngeren Wrestling-Geschichte.

Spätestens mit seiner Mini-Fehde gegen Stone Cold Steve Austin hat sich die wandelnde Italo-Klischeeparade mit den stilsicher verpatzten Redensarten vom Kündigungskandidaten zum Kultobjekt gemausert. Die Frage ist nur, wie lange das Ganze noch funktionieren kann. Wrestlerisch hat Santino sich nämlich in der WWE noch nicht so recht entfaltet - und sein derzeitiges Gimmick als Edel-Prügelknabe steht dem auch eher im Wege. Es ist Santino daher erstmal zu raten, weiter komisch zu bleiben - ehe der wankelmütige Wrestlingfan noch einmal umkippt.
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