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Kofi Kingston: Vom Paradies ins kalte Wasser

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Published on:
02.07.2008, 00:00 
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Man konnte meinen, dass man aus Versehen bei einem Revival-Special der Achtziger-Jahre-WWF gelandet war, als man Anfang des Jahres bei den Einführungs-Skits für Kofi Kingston einschaltete. Der Sonnyboy von der paradiesischen Insel, der mit einem Dauerlächeln seine Mitmenschen vor Taschendieben und Strandrowdys beschützte. Es ist ein Charaktertypus, wie er im Wrestling in der Attitude-Ära ausgestorben schien. Ein altmodisches Gimmick, das dem jungen Rocky Maivia fast die Karriere ruinierte, bevor aus ihm The Rock wurde. Kofi erging es anders: Er legte eine in kürzester Zeit eine steile Karriere hin, die am Sonntag mit dem Gewinn des Intercontinental Titles vorläufig gekrönt wurde.

Ist Kofis Erfolg ein Anzeichen dafür, dass sich im Wrestling eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte vollzieht? Nun, man sollte es vielleicht nicht überinterpretieren. Denn Kofis Erfolg gründet sich letztlich wohl weniger auf sein Gimmick als auf seine Energie im Ring, seine spektakulären und in der WWE nie gesehenen Aktionen und sein Talent, die Fans damit mitzureißen.

Kofi ist ein Nachwuchswrestler, wie ihn sich die WWE-Scouts erträumen: Einerseits hat er einen breit gefächerten athletischen Hintergrund: Kofi war an der High School Amateurringer und Footballer, auf dem College Kurzstreckenläufer und nebenbei sogar noch Stepptänzer in einer Gruppe, die vielleicht nicht unzufällig wie der frühere Spitzname von Mark Henry - "Sexual Chocolate" - hieß. Auf der anderen Seite ist Kofi aber eben kein Athlet, für den Wrestling nur eine Karriere-Option ist. Er ist Fan seit Kindheitstagen, als er Schaukämpfe mit seiner Bugs-Bunny-Puppe ausfechtete.

Wohlgeordnetes Leben aufgegeben

Für seine Leidenschaft gab der Spross einer Akademikerfamilie ein Leben auf, das wohlgeordnet verlaufen war: Behütete Kindheit, erfolgreicher Studienabschluss in Kommunikationswissenschaften, Annahme eines gut bezahlten Jobs als Werbeanalyst eines großen Einzelhändlers. Doch es war der erste Tag in diesem Job, der Kofi auf den Gedanken brachte, ob dieses Leben wirklich das seine war: "Ich saß im abgetrennten Raum in dem Großraumbüro, starrte auf die leeren Wände und es war deprimierend", erinnert sich Kofi. Er merkte dass der Lebensentwurf "Geh aufs College, nimm einen guten Job an und warte auf die Rente" nicht der seine war.

Kofi entschloss sich, etwas zu wagen und neben seinem Beruf zu versuchen, seinen Kindheitstraum zu verwirklichen und Wrestler zu werden. Er schrieb sich an der Schule der Independent-Liga Chaotic Wrestling in Massachusetts, wo unter anderem der WWE Hall of Famer und Triple-H-Trainer Killer Kowalski lehrte ein. Und anders als an seinem Arbeitsplatz "wusste ich gleich am ersten Tag, dass ich am richtigen Ort war". Dort entwickelte er auch sein Gimmick, das damals noch Kofi Nahaje Kingston hieß und - man glaubt es heute kaum - das eines amerikafeindlichen Heels war.

Durch sein Talent und die guten Verbindungen von Chaotic zur WWE - auch Idol Stevens, Kenny Dykstra und diverse andere wurden von der Liga an die McMahon-Company vermittelt - landete Kofi schnell einen Development-Deal und konnte den ungeliebten Bürojob aufgeben. Und er verschaffte sich in den diversen Farmligen schnell einen Ruf als "eine der heißesten Zukunftshoffnungen der Liga", wie ihn der Wrestling Observer lange vor seinem Debüt bezeichnete.

Hohe Wellen im kalten Wasser

Die WWE-Oberen teilen diese Meinung offensichtlich. Und ermutigt von den positiven Reaktionen, die er bei seinem halbjährigen Probelauf in der ECW erhielt, haben sie Kofi nun die wohl ereignisreichste Woche seiner Karriere gegönnt: Der Draft in die A-Show RAW, der Überraschungssieg und Titelgewinn gegen Chris Jericho bei Night of Champions - und fast schon vergessen: Der vorher noch erfolgte, erfolgreiche Abschluss seiner ersten großen Fehde mit einem Sieg gegen Shelton Benjamin. Ironischerweise der Mann, der vor vier Jahren mit einem Sieg über Triple H einen ähnlichen Kickstart bei RAW erhielt - und heute immer noch nicht wirklich seine Rolle in der WWE gefunden hat.

Kofi muss also gewarnt sein: Eine Garantie, dass seine Hammer-Woche auch der Auftakt einer Hammer-Karriere ist, gibt es nicht. Und man muss auch bedenken, dass Kofi von der Liga gerade mächtig ins kalte Wasser geworfen wurde - und durchaus auch schon bemerkt hat, dass dort schwerer Seegang herrscht. Die Publikumsreaktionen auf seinen Titelgewinn ließen etwas zu wünschen übrig - wohl aber vor allem, weil viele Fans den Mann aus der von nur einem Drittel der RAW-Zuschauer gesehenen ECW-Show gar nicht kannten und einen prominenteren Überraschungsgegner erwarteten. Zu einem anderen Problem könnte werden, dass die WWE CM Punk einen Tag später auf viel spektakulärere Weise ins kalte Wasser warf, die viel größere Wellen der Aufmerksamkeit schlug, in denen Kofis Sieg in der Erinnerung vieler Fans schnell untergehen kann.

Nationalitäten-Wechsel aus Karriere-Kalkül

Kofis Titelgewinn befördert ihn aber auch ins Scheinwerferlicht einer größeren Öffentlichkeit, die Dinge an selbige bringt, die für Kofi nicht sehr angenehm sind. So weist ein kurz nach seinem Titelgewinn veröffentlichter Artikel der englischen BBC-Anstalt auf einen Widerspruch bei Kofi hin, das Insidern schon länger, der breiten Fanmasse aber kaum bekannt ist: Der fröhliche Jamaikaner ist nämlich in Wahrheit kein Jamaikaner, sondern ist Sohn einer wohlhabenden Einwandererfamilie aus Ghana. Dass er den Jamaikaner gibt - mit einem Akzent, bei dem übrigens jeder echte Jamaikaner sofort weiß, was Sache ist - ist reines Vermarktungs-Kalkül. Der Durchschnittsfan kann sich mit dem Land des Reggae, der Traumstrände und der Unbeschwertheit eben besser identifizieren als mit dem fernen und fremden Afrika.

Zugespitzt kann man also feststellen, dass Kofi aus Karriere-Zwecken seine Herkunft verleugnet. Und so ist es kein Wunder, dass er das nicht ausgebreitet sehen will. Darum behauptet er selbst der BBC gegenüber hartnäckig, doch aus Jamaika zu kommen und hat sogar seine Familie mit einem Medienboykott belegt, damit sie seine Kayfabe-Fassade nicht beschädigen.

Klar, dass das im Umfeld seiner Familie nicht gut ankommt. Noch mehr aber verstört viele, dass ein Akademiker wie Kofi sein intellektuelles Potenzial in einem Wrestlingring "verschwendet". "Wie kann so jemand seine Karriere über Bord werfen für eine Gehirnerschütterung im Gesicht?", fragt etwa ein befreundeter Professor aus Kofis Heimat in dem BBC-Artikel. Kofi wird die Antwort wissen: Es ist ihm lieber als der deprimierende Blick auf die leere Wand im Großraumbüro.
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