DeutschEnglish
Not logged in or registered. | Log In | Register | Password lost?

Paul London: Ein großes Kind auf dem falschen Spielplatz

Personalie

Article information
Published on:
24.11.2008, 00:00 
Category:
Author(s):
Es war im vergangenen Jahr bei einer House Show, als Paul London auf einen kleinen Fan traf. Sieben Jahre war er alt, so die Überlieferung. Er fragte den WWE-Star, warum er eigentlich den 450 Splash nicht mehr zeigte - die halsbrecherische Aktion, bei der London einen Eineinviertel-Salto schlägt, bevor er auf seinem Gegner einschlägt. Londons Antwort: "Ich darf ihn nicht mehr machen. Ist das nicht lahm?" Es ist nur eine kleine Episode, aber sie sagt etwas darüber aus, warum die WWE nicht mehr der Arbeitgeber Londons ist - besonders wenn man sie zusammensetzt, mit den vielen anderen kleinen Episoden, für die London im Lauf der Zeit gesorgt hat.

Der Highflyer aus Texas hat nie den Eindruck vermittelt, eine Skandalnudel zu sein. Trotzdem las man über ihn so oft wie bei wenigen anderen eine Meldung, die auf "beinahe entlassen" endete. In der letzten Meldung über den WWE-Wrestler Paul London fehlte das "beinahe" - und es durfte keinen mehr verwundern. Die Geschichte von Paul London in der WWE - es ist die Geschichte eines sich fünf Jahre hinziehenden Missverständnisses. Ein Missverständnis deshalb, weil Paul London mit der Einstellung, wie sie in der eingangs erwähnten Episode durchschimmerte, nie wirklich in der WWE angekommen ist.

Es klingt auf den ersten Blick abschätzig, aber es trifft ziemlich genau den Punkt, wenn man feststellt, dass sich Paul London seinem 28 Jahren durchaus eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem 21 Jahre jüngeren Gesprächspartner bewahrt hat. Paul London hat sich einen ausgeprägten Spieltrieb bewahrt. Sein Spielplatz ist der Ring und er steigt dort mit Vorliebe aufs größte Klettergerüst, um die waghalsigsten Kunststücke zu zeigen - und es macht ihm nichts aus, wenn er von diesem Klettergerüst aus höchster Höhe mit dem Gesicht voran auf den Boden knallt. Der Ärger ist nur dann groß, wenn er bei seinem Spieltrieb gezügelt wird. Und das konnte kaum gut gehen im Kindergarten, der seinen Schützlingen den wenigsten Freiraum zum Austoben bietet.

ROH-Abschied mit großer Geste

Paul London wollte Wrestler werden, seit er elf Jahre alt war. Er träumte davon, mit seinem Bruder Daniel ein großes Tag Team zu formen, doch das Schicksal wollte es nicht so. Daniel wurde 1996 von einem Betrunkenen zu Tode gefahren. London aber gab trotz dieses Schicksalsschlags nicht den Traum auf, seinen Vorbildern aus dem Wrestlinggewerbe nachzueifern. Ein früher Held aus dieser Zeit war der Ultimate Warrior, von dem London die Angewohnheit übernommen hat, im Raketentempo zum Ring zu rennen. Als spätere Inspirationsquellen nannte der Highflyer Owen Hart und Rob Van Dam, aber auch Terry Funk, von dem er stilistisch zwar weniger adaptiert hat, aber umso mehr von dessen Verrücktheit.

Man merkte das schnell, als London mit Anfang 20 erstmals nationale Aufmerksamkeit erregte. Nach seinen Lehrjahren in Texas - die meiste Trainingszeit verbrachte er in Shawn Michaels' inzwischen geschlossener Wrestlingschule und beim WWE Hall of Famer Ivan Putski - kam er zur Upstart-Promotion Ring of Honor. Dort brauchte er nicht lange um Heroenstatus bei den Fans zu erlangen. London verblüffte sie durch ein Tempo, das seine Matches oft aussehen ließen, als hätte man die Vorspultaste gedrückt, mit atemberaubender Akrobatik - und vor allem mit einer Daredevil-Attitüde, die selbst für die highrisk-verwöhnten Indy-Fans außergewöhnlich war.

Zum Schlachtruf seiner Fans wurde das berühmte "Please don't die" ("Bitte stirb nicht"), das alles über die Waghalsigkeit seiner Manöver und der Bumps die er nahm, aussagte. London entwickelte sich schnell zur heiß gehandelte Aktie, absolvierte Auftritte bei TNA, bei Zero-One in Japan und immer wiederkehrende Tryouts bei der WWE, wo er dann Mitte 2003 auch anheuerte. Vorher jedoch verabschiedete er sich mit großer Geste bei ROH, wo er ein finales World Title Match gegen Samoa Joe verlor. Hinterher sank er im Ring auf die Knie und küsste das Ligalogo und den Fans gab er noch folgende Worte mit auf den Weg: "Was auch immer auf meinem Shirt steht, 'ROH' wird in meinem Herzen stehen."

Gefährlicher Mix aus Unbedarftheit und Rebellion

Vielleicht behielt Paul London mehr ROH in seinem Herzen, als in der WWE gut für ihn war, denn man hatte nie den Eindruck, dass London je richtig in Stamford angekommen wäre - in einer Liga, in der es Wrestler seines Schlags ohnehin meist schwer haben. Als Leichtgewicht mit nicht groß ausgeprägtem Redetalent muss man eine Ausnahmeerscheinung vom Schlage eines Rey Mysterio oder jetzt Evan Bourne sein, um in der Heavyweight fixierten McMahon-Company groß herauszukommen. Es ist ein großer Konjunktiv, aber London hätte sich womöglich einreihen können, er hatte zeitweise seine Unterstützer. Paul Heyman probierte, in seiner kurzen Zeit als SmackDown-Booker mit der Fehde gegen Ex-Partner Billy Kidman etwas aus ihm zu machen und auch Heymans Nachfolger Dave Lagana ließ ihn nicht fallen.

Doch letztlich machte London die kleine Chance auf eine größere Karriere in dem für ihn schwierigen Umfeld durch sein Unvermögen zunichte, sich auf besagtes Umfeld einzustellen. London entwickelte ein bemerkenswertes Talent dafür, sich durch vermeintliche Kleinigkeiten großen Ärger einzuhandeln. Manchmal war es wohl Unbedarftheit, manchmal aber auch wohl eine gewisse Lust auf kleine rebellische Gesten, die ihn in Teufels Küche brachte.

Die Bruchstelle in der Beziehung zwischen London und der WWE kam 2005, als die Liga den 450 Splash und die Shooting Star Press verbot - ironischerweise als Reaktion darauf, dass London durch eine solche Aktion von Juventud verletzt wurde. London war auf einen Schlag seine beiden Finisher los und beging mit seiner Reaktion darauf einen Kardinalfehler. Er wandte sich direkt an Vince McMahon, um ihm die Sache auszureden - was bei Londons Position in etwa so viel Aussicht auf Erfolg hatte, wie wenn ein Wurm sich beim Angler über die Wasserverhältnisse beklagt. Eine Woche später war London seinen Cruiserweight Title los - was keine Strafe von McMahon direkt gewesen sein muss, sondern auch auf den Ärger der Leute zurückgehen könnte, die im Dienstweg zwischen den beiden stehen.

Und London wartete nicht lange, sich selbst das nächste Bein zu stellen. Nach seinem Titelverlust hielt er eine bizarre Promo, in der er auf weinerliche Weise seinen Titelverlust verarbeitete und die Fans um Unterstützung beim Vorhaben, sich den Gürtel zurückzuholen, aufrief. Damals hieß es, dass er als Strafaktion zum Halten dieser Promo verdonnert wurde. Nun aber erzählt der Wrestling Observer in einem Hintergrundstück die Geschichte anders: London hätte eigentlich laut Laganas Plan eine ganz normale Promo halten sollen und machte sie in Eigenregie und ohne Absprache zu einer Lachnummer. Welche Version auch immer stimmt: Der Wortbeitrag war derart gruselig, dass die WWE für eine Weile den Mantel des Schweigens über London legte.

Verhängnisvolle kleine Affären

London fand bekanntermaßen über die Wiedervereinigung mit seinem alten Partner Brian Kendrick in die Spur zurück und bildete mit ihm ein für WWE-Verhältnisse ziemlich langlebiges und erfolgreiches Gespann - inklusive einer fast einjährigen WWE-Tag-Title-Regentschaft bei SmackDown. Doch letztendlich waren es Londons kleine Affären, die das Ende der erfolgreichen Zeit womöglich nicht auslösten, aber in jedem Fall beschleunigt.

Da war etwa die Grins-Affäre: Vor der Storyline-Explosion von Vince McMahons Limousine filmte die WWE eine Szene, in der der WWE-Chef gramgebeugt durch das Roster trottete. Die Wrestler sollten betont ernst blicken - London grinste über beide Ohren. Dann war da die Survivor-Affäre: Er erzählte sorglos einem Fan, dass seine Freundin Ashley bei besagter Show teilnehmen würde. Die WWE wollte das geheim halten, durch Londons Plausch gelangte die Geschichte ins Internet. Und dann war da noch die Plancha-Affäre, in der sich wieder Londons Abneigung gegen die Move-Beschränkungen der WWE offenbarte. In einem Match performte London eine Plancha-Variation der Shooting Star Press, die rein technisch nicht verboten war, aber Vince McMahon so auf die Palme brachte, dass er London drohte ihn auf der Stelle zu feuern, sollte er das noch einmal tun.

Vielleicht wäre es im Sinne Londons gewesen, wenn er mit einem solchen Knalleffekt abgetreten wäre. Stattdessen kam seine Entlassung nun ganz unspektakulär und beiläufig. Die WWE wusste schlicht keine Verwendung mehr für London - und durch die vielen kleinen Ärgernisse hat er die Liga auch sicherlich nicht bewogen, noch angestrengt über eine nachzudenken. London soll nun versuchen, eine Karriere als Stuntman einzuschlagen. Womöglich kann er seinen Spieltrieb da besser ausleben. In der WWE konnte er das nicht. Das Logo der Liga hat er zum Abschied nicht geküsst. Er wird es wohl auch nicht mehr tun.