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Jeff Hardy: Das ewig falsch verstandene Rätsel

Personalie

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Published on:
12.09.2009, 14:46 
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Es gibt viele Fanreflexe, die am Tag nach Jeff Hardys Verhaftung wirken. Einer davon ist die Empörung, dass das Extreme Enigma seine Fans an der Nase herumgeführt hat. Die Frage, wie es sein kann, dass jemand, der von sich gesagt hat, dass er clean wäre und seine Anhänger so dreist belügen konnte. Und sich doch eben noch in der Fehde gegen CM Punk als Geläuterter präsentiert hat. Es sind Reflexe, die verständlich sind und auch von der absolut richtigen Einstellung geleitet sind, dass Drogen falsch sind. Und doch sind sie Zeugnis davon, das diejenigen die sie aussprechen, Jeff Hardy nie verstanden haben und bei seiner öffentlichen Selbstdarstellung nie genau hingeschaut haben - wie auch die meisten seiner Fans.

Wer nach den Suchworten "Jeff Hardy" und "clean" sucht, wird bemerken, dass Jeff Hardy nie erklärt hat, das zu sein. Diese Behauptung wurde ihm in der Vergangenheit allenfalls von Wrestlerkollegen verbreitet (deren Verständnis von "clean" wohl auch so eine Sache ist) und Fans in den Mund gelegt, die ihn als geläuterten Helden sehen wollten und bei nächster Gelegenheit sicher auch wieder sehen wollen - so wie es ihm jetzt im Nachhinein in den Mund gelegt wird, von denen die ihn als verlogenen Bastard sehen wollen. Keinem dieser beiden Bilder hat Jeff je wirklich entsprochen. Um sich dem Bild zu nähern, dem Jeff wirklich entspricht, lohnt es sich zurückzuschauen auf den Zeitpunkt, an dem seine zweite WWE-Karriere begonnen hat - und an dem hier seine letzte Personalie geschrieben wurde.

Eine Vollgasfahrt mit Kurven

Im Jahr 2006 wurde Jeff Hardy von der WWE wiedereingestellt, drei Jahre nach einer Entlassung wegen der Weigerung, sich in eine Drogentherapie zu begeben. Auf der offiziellen WWE-Homepage legte er dann dar, was auf seitdem passiert ist. Und gleich sein erster Satz war die (kürzlich im WWE-TV noch mal wiederholte) Feststellung, dass er auch seitdem nie eine Therapie besucht und gebraucht hätte: "Als ich entlassen wurde, ging es nicht um Dämonen oder dämonische Metaphern, die sich auf Drogengebrauch beziehen." Als Grund für seine Entlassung führte er stattdessen einen vielsagenden Satz an: "Ich bin deshalb durch diverse Drogentests gefallen, weil mir das Wrestling einfach nichts mehr bedeutet hat." Ein Satz, aus dem sich ein krudes Verständnis eines Drogentests ablesen lässt. Zum damaligen Stand der Dinge sagte Jeff auch nicht: "Die Drogen liegen hinter mir." Er sagte: "Ich bin jetzt an einem positiven Ort und das motiviert mich." Er würde nicht als jemand bezeichnet werden wollen, der seine Dämonen überwunden hätte: "Es soll lieber heißen: Er ist zurück und er gibt Vollgas."

Wer dieses Interview richtig eingeordnet hat, konnte eigentlich schon damals eine Ahnung davon bekommen, wie kurvig diese Vollgasfahrt verlaufen würde. Zum damaligen Zeitpunkt galt Jeff Hardy abseits seines großen Fanzirkels als kaputte Existenz, die mit unter 30 schon ihre beste Zeit hinter sich hatte. Jeff überraschte den Großteil seiner Kritiker mit einem rasanten Aufstieg im Intercontinental-Bereich. Auf dessen Höhepunkt folgte ein positiver Drogentest, eine 30-Tage-Suspendierung und die Einschätzung, dass er jetzt wirklich am Boden ist. Jeff kam zurück, überraschte den Großteil seiner Kritiker mit einem rasanten Aufstieg in den Main Event. Auf dessen Höhepunkt folgte ein positiver Drogentest, eine 60-Tage-Suspendierung und die Einschätzung, dass er jetzt wirklich am Boden ist - zumal er ja beim nächsten Strike gefeuert werden müsste. Jeff Hardy kam zurück, holte sich den World Title und wurde endgültig zum Topstar seiner Liga.

Dass er gerade dann den Entschluss fasste, seiner Liga gerade dann den Rücken zu kehren, um andere Projekte zu verfolgen, statt seine Popularität zu kapitalisieren, wie es wohl jeder andere tun würde, hat viele verständnislos zurückgelassen - dabei durfte auch das eigentlich keinen überraschen. Jim Ross, der Mann der Jeff in der WWE wie wohl kein anderer außer Matt mag und wohl auch wie kein anderer an ihm verzweifelt, sagt es so oft, dass es schon zur Floskel erstarrt ist, aber es hat weiter seine Richtigkeit: "Jeff Hardy has been walking to the beat of his own drum ever since."

Wer ist "Enabler" für wen?

Schon immer war Jeff ein individueller Charakter, was viel mit seiner Biografie zu tun hat. Der frühe Krebstod seiner Mutter, das Leben als Tabakfarmersohn im ländlichen Carolina, der Einstieg ins Wrestling, ein Geschäft mit all seinen bekannten Lastern, im nicht sehr gefestigten Alter von 16 Jahren: Das sind Erfahrungen, die die meisten Außenstehenden nicht nachvollziehen können - und die dazu beigetragen haben, einen Charakter zu formen, den die meisten auch nicht verstehen. "Ihr wisst ja nicht, was er durchgemacht hat", ist daher auch wie so oft der klassische Verteidigungsansatz von Jeffs Fans und Freunden, wenn sie rechtfertigen wollen, dass Drogenkonsum offenkundig zu diesem Charakter gehören. Ein Ansatz, der er es sich allzu leicht macht - aber wenn man versucht, die Gründe dafür seriös auszuleuchten, stößt man auf Wahrheiten, die jedem Fan des Gewerbes unangenehm sein müssen.

CM Punk hat Hardy im WWE-TV zuletzt immer wieder als "Enabler" seiner Fans bezeichnet, ein unübersetzbares Wort, das sagen will, dass er jemand ist, der bei seinen Anhängern wegen seiner schlechten Vorbildwirkung die Voraussetzungen für Drogenkonsum schafft. Eine Storyline-Wahrheit, die beunruhigend nah an der tatsächlichen sein könnte. Einerseits. Andererseits gehört zur vollen Wahrheit ein Blick darauf, was wiederum Hardys "Enabler" sind. Dazu gehört Hardys verseuchtes Berufsumfeld inklusive eines Arbeitgebers, dem die Kapitalisierung (unfreundlich formuliert: Ausbeutung) von Jeff Hardys Popularität im Zweifel immer wichtiger war als eine ernsthafte Befassung mit seinen Problemen. Dazu zählen aber ungewollt auch die Fans, die zwar die Welt nicht mehr verstehen, wenn sie hören dass Hardy riesige Mengen Schmerzmittel gebunkert hat, aber andererseits für die Bumps jubeln, die bei Wrestlern die Schmerzen auslösen - wenn nicht bei Reizfigur Hardy, dann bei anderen.

Dialoge mit Punk als bemerkenswerte Zeitzeugnisse

Dass Jeff Hardy aber selbst für Wrestlerverhältnisse extrem ist, darf dennoch als Allgemeinwissen gelten. Um ihn zu verstehen - und auch den ambivalenten Umgang der WWE und ihrer Fans damit - lohnt ein Blick in die Dialoge mit Punk, die früh zu bemerkenswerten Zeitzeugnissen geworden sind. Die beschönigende Inszenierung von Hardy brachte Punk darin korrekt zur Sprache - und doch waren diese Anmerkungen selbst wiederum Teil dieser beschönigenden Inszenierung. Hardy kann man dabei nicht mal vorwerfen, seine Fans darin getäuscht zu haben. Dass er clean wäre, ist ihm in seinen gewundenen Verteidigungsreden auch hier nie über die Lippen gekommen, nur dass er keine Probleme mehr hätte - was trotz allem wohl auch weiter seine subjektive Wahrheit ist.

Die Schnellanalyse, dass Hardys Karriere jetzt endgültig am Boden ist, wird sich kaum bewahrheiten. Zu unerschütterlich ist die Liebe der Fans, die durch jeden Fall Hardys und jedes vermeintliche Wiederaufrichten im Endeffekt eher noch zunimmt als nachlässt. Zu verlockend wird auch beim nächsten Mal der Glaube sein, dass alles besser sein wird - auch wenn es sich an Hardys Äußerungen nie wirklich ablesen ließ. In Hardys Kopf scheint die gedankliche Einstellung zu seinem Lebensweg unveränderlich zu sein. Die Frage, die bei jedem Mal mehr beunruhigen muss, ist nur die, wann sich der Rest seines Körpers in die Debatte einschaltet.