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Brandbrief des US-Kongresses an die Drogenbehörde - und entlarvende Erkenntnisse zur Anti-Drogen-Politik von WWE und TNA

(03.01.2009) News, written by The Mountie

Published on:
03.01.2009, 11:38 
Topic:

Ein wenig in Vergessenheit sind sie bereits geraten, die Untersuchungen des US-Kongress zum Thema Steroid- und Drogenmissbrauch in den großen Wrestlingligen. Doch sollten WWE und TNA gehofft haben, dass die Sache unauffällig im Sand verläuft, nachdem die öffentliche Aufmerksamkeit nach der Tragödie um Chris Benoit nachgelassen hat, hat sie sich wohl getäuscht. Am 2. Januar hat Henry Waxman, scheidender Vorsitzender des Handelsausschusses im Repräsentantenhaus, der die Untersuchungen durchführt, einen offenen Brief an John Walters, den Vorsitzenden der US-Drogenkontrollbehörde ONDCP, entsendet. Waxman zieht in seinem Schreiben ein vernichtendes Fazit über die Anti-Drogen-Politik beider großen Ligen und fordert die Behörde auf, das Thema zu untersuchen und entsprechende Schritte einzuleiten. Waxman ist nach eigenen Worten zum Schluss gekommen, „dass Steroidgebrauch das Wrestling durchdringt und die Organisationen keine adäquaten Schritte dagegen unternommen haben“.

Die Erkenntnisse Waxmans basieren zum großen Teil auf Interviews, die mit den Verantwortlichen der Ligen Ende 2007 durchgeführt wurden. Sie spiegeln also nicht ganz den aktuellen Stand der Wellness-Politik wider, stammen aber aus der Zeit, als die WWE nach der Benoit-Tragödie bereits die tiefstgreifenden Verschärfungen durchgeführt hatte. Sie werfen ein Schlaglicht auf die große Masse an Missbrauchsfällen und auf Schlupflöcher und Versäumnisse in der Politik. Und Waxman schreibt am Ende seines Briefes, dass auch die jüngsten Änderungen nicht überzeugend wären, sondern an einem Mangel an Transparenz und Unabhängigkeit litten. WWE und TNA seien „anscheinend unfähig den Missbrauch von Steroiden und anderen Drogen effektiv zu bekämpfen“.

Cagematch.de hat die wichtigsten Erkenntnisse aus den Kongressuntersuchungen zusammengefasst:

Zur WWE:

Anzahl der Positivtests:

In den Baseline Tests im März 2006, die noch keine Bestrafung nach sich zogen, wurden 75 der 186 unter Vertrag stehenden Wrestler positiv auf illegale Substanzen getestet, also rund 40 Prozent. Zum Verständnis sei hinzugefügt, dass die nicht positiv Getesteten nicht automatisch sauber waren, sondern womöglich Substanzen im Blut hatten, die sich mit den Tests nicht nachweisen ließen (Wachstumshorme etc.). In den folgenden zwei Jahren, ab denen Positivtests dann unter Strafe standen, gab es 34 positive Tests auf Steroide - und 23 auf andere Drogen, darunter Kokain, Methadon und Ecstasy.

Ein weites Schlupfloch:

Es gibt eine Reihe von Wrestlern, die in der WWE ganz unbehelligt Steroide einnehmen können. Was sie dafür brauchen, ist eine Ausnahmegenehmigung, dass sie die Steroide zu therapeutischen Zwecken gebrauchen. Der Kongress hat den Arzt befragt, der diese Genehmigungen erteilt: Dr. Tracy Ray, ein Angestellter des bekannten WWE-Arztes Dr. James Andrews. Was er zu dem Thema sagt, ist vorsichtig ausgedrückt, interessant: Ray erklärt, dass er kein ausgebildeter Endokrinologe ist, also jemand, der sich auf das Hormonsystem seiner Patienten spezialisiert hat. Nach seiner Aussage untersucht er die Wrestler auch nicht selbst, spricht auch nicht mit den Ärzten der Wrestler über ihren medizinischen Zustand und nimmt diesen auch nicht anderweitig im Detail in Augenschein. Trotzdem hat er sieben Wrestlern seinen Segen gegeben, Steroide zu verwenden. Die Begründung, die Ray andeutet: Die betreffenden Wrestler hätten in der Vergangenheit Steroide missbraucht und bekommen daher die Genehmigung, auch weiter Steroide zu benutzen, um Folgeschäden zu vermeiden, welche die Absetzung der Steroide im Organismus, der sich an die Zufuhr von Steroiden bereits gewöhnt hat, auslösen würde. Ray hielt auch fest, dass es in jedem der Fälle „Schattigkeiten“ gegeben hätte.

Untätigkeit im Fall Benoit:

Immer wieder hörte man von der WWE, dass Chris Benoit bei seinem letzten Wellness-Test vor der Tragödie negativ getestet worden war. Was die Liga dabei verschwieg: Zuvor wurde er nach Einführung der Wellness Policy dreimal positiv getestet. Konsequenzen? Keine ersichtlichen. Es gab keine Suspendierung, keine andere Bestrafung und laut dem Kongressreport „keine Anzeichen dafür, dass Anstrengungen unternommen wurden, Benoit von seinem Steroidgebrauch abzubringen“. Dass Benoit trotz des Negativtests zum Schluss nicht sauber war, hat seine Autopsie bewiesen, in der ein Testosteronspiegel festgestellt war, der zehnmal höher als normal war. Dass Testosteronmissbrauch eine Form von Steroidmissbrauch ist, ist sogar in der WWE Wellness Policy festgehalten.

Was McMahon meint:

WWE-Chef Vince McMahon ist vom Kongress auch persönlich zum Thema befragt werden. So wurde er etwa gefragt, wie er die Risiken von Steroidmissbrauch einschätzen würde. Seine Antwort: „Ich bin kein Arzt, ich weiß es nicht.“ Gefragt, was er Angestellten sagen würde, die ihn zu den Risken befragen würden: „Ich weiß nicht, ob es wirklich Langzeitschäden bei Steroidgebrauch gibt.“ Auf die Frage, ob Steroide Schäden und Risiken bei Wrestlern verursachen könnte, antwortete er sinngemäß, dass er sich mit der Frage nie auseinandergesetzt hätte. McMahon, der Steroidgebrauch in der Vergangenheit zugegeben hat, wurde auch zu seinem persönlichen Steroidgebrauch befragt, verweigerte zu dem Thema jedoch die Auskunft. Begründung: Er sei nicht Teil des Testprogramms. Zur Erinnerung: McMahon stand bis zum März 2008 selbst noch öfters im Ring.

Steroidtests für Neulinge und ihr fragwürdiger Sinn:

Nach der Benoit-Tragödie wurde im Novembner 2007 die Regelung eingeführt, dass auch Neuverpflichtungen sich vor ihrer Vertragsunterschrift bei der WWE einem Wellness-Test unterziehen müssen. Ein Einstellungshindernis sind diese Tests aber nicht: Bis zum März 2008 wurden fünf Neulinge positiv getestet - vier davon wurden trotzdem eingestellt. Was der fünfte falsch gemacht hat, wäre eine spannende Frage.

Aufweichung der Strafpolitik:

Dieser Punkt ist Wrestlingfans nicht neu, dürfte aber Beobachtern die nicht so vertraut mit dem Gang der Dinge sind, einen deutlichen Hinweis darauf geben, wie in der WWE der Hase läuft. Es geht um die Änderung der Suspendierungspolitik, die von der WWE im Jahr 2006 eingeführt wurde, nachdem es eine Reihe von Suspendierungen gab, die dazu führten, dass die WWE ihre Storyline-Pläne umwerfen musste. Als Reaktion darauf wurde eine Neuregelung eingeführt, dass Suspendierungen nur noch für House Shows galten, die WWE aber bei TV-Shows und Pay Per Views weiter auf die Suspendierten zurückgreifen konnte. Diese Neuregelung wurde nach der Benoit-Tragödie wieder abgeschafft, weil sie der kritischen Öffentlichkeit logischerweise kaum vermittelbar war. Waxman zitiert in seinem Brief Dr. David Black, den verantwortlichen Arzt für die Steroidtests in der WWE, der diplomatisch anmerkt, dass er „mit Programmen, die einen suspendieren, ohne dass man suspendiert ist, vorher nicht vertraut war“.

Zu TNA:

Zu TNA weiß der Report weniger zu berichten, weil die Anti-Drogen-Politik der Liga wesentlich jünger ist: Erst seit 2008 stehen positive Drogentests unter Strafe. Ob es bisher Fälle gab, in denen es Bestrafungen gab, ist nicht öffentlich bekannt geworden. Die Erkenntnisse des Kongressreports beschränken sich auf die Baseline Tests, in denen die Quote der Missbrauchsfälle fast identisch mit der der WWE ist: 15 von 60 Wrestlern wurden Steroide, 11 weiteren andere Drogen nachgewiesen. Auch hier liegt die Quote an ertappten Sündern bei rund 40 Prozent. Wie erwähnt gibt es seit August 2008 Tests und Bestrafungen, dem Kongress sind aber keine Informationen zugeflossen, wie die getesteten Wrestler ausgewählt werden und wie ihre Tests aussehen.

Waxman ist zum Schluss gekommen, dass die Steroide trotz der Drogenpolitik in beiden Ligen weiter ein ernsthaftes Problem sind, dem WWE und TNA nicht effektiv entgegentreten. Er zitiert einen anonymen Ex-Wrestler, der erklärt: „Steroide sind wie weiße Socken und Tapes, sie sind Teil der Ausrüstung.“ Waxman weist den ONDCP-Chef darauf hin, dass über drei Millionen Kinder und Jugendliche in den USA jede Woche bei den großen Ligen einschalten - und dass sie vom Wrestling die falsche Botschaft erhalten.